360-Grad-Betrachtung von Veranstaltungen ist für den Deutschen Expertenrat Besuchersicherheit (DEB) unumgänglich
Auch in Pandemiezeiten ist die 360-Grad-Betrachtung von Veranstaltungen unumgänglich. Der Deutsche Expertenrat Besuchersicherheit (DEB) weist darauf hin, dass nicht immer nur „die letzte große Katastrophe“ ein Übermaß an Aufmerksamkeit zu Lasten anderer Risiken bekommen darf. Jüngstes trauriges Beispiel ist der Tod von acht Fußballfans bei der Massenpanik im Stade d’Olembé in Jaunde (Kamerun). Mindestens 38 weitere Menschen wurden teils schwer verletzt. Auslöser dafür war die Schließung der Stadiontore, als die wegen der Corona-Pandemie reduzierte Höchstbesucherzahl im Stadion erreicht worden war.
Die Nachricht erinnert an die tragischen Ereignisse bei der Loveparade in Duisburg 2010. Seitdem wurden diese Panikphänomene bei Großveranstaltungen wissenschaftlich vermehrt untersucht. Auf Grundlage der soziologischen und psychologischen Erkenntnisse wurden rechtliche, bauliche und organisatorische Maßnahmen entwickelt und getroffen, um zu verhindern, dass es jemals wieder zu einer solchen Katastrophe kommt.
Allerdings registrieren Experten wie Olaf Jastrob (Vorsitzender des DEB) und Tobias Zweckerl (Experte für Veranstaltungssicherheit und Technik) mit Sorge, dass in der Sicherheitsplanung und dem Krisenmanagement für Veranstaltungen der Schwerpunkt immer nur auf der jeweils letzten Katastrophe zu liegen scheint. „Wir beobachten hier das psychologische Phänomen des Rezenzeffektes (recency effect), eines klassischen Wahrnehmungsfehlers,“ erklärt Tobias Zweckerl.
Nach der Loveparade war allen klar, dass das Crowd Management und die Panikvermeidung grundlegende Aspekte der Sicherheitsplanung sind. Die Veranstalter und Behörden hatten nach der Loveparade die Thematik Crowd Management voll im Blick – bis zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016. Es war, als wäre schlagartig die Loveparade vergessen gewesen und alle Aufmerksamkeit richtete sich dann nur noch auf die Themen Anschlagsgefahr, Terrorismus und Sicherung gegen Überfahrtaten und Selbstmordattentate.
Gleiches sieht der DEB mit Sorge seit Beginn der Corona-Pandemie: Nun werden massive Maßnahmen für den Schutz der Besucher gegen Ansteckung getroffen, die aber teilweise die Maßnahmen für die sichere Entfluchtung im Gefahrenfall oder den Schutz gegen Anschläge konterkarieren.
Olaf Jastrob führt dazu aus: „Es liegt in unserer Natur, noch etwas retten zu wollen, wenn sprichwörtlich das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Dabei wissen wir, dass vergangene Ereignisse für uns zwar Lehren beinhalten, aber keine Vorhersagen darüber, was als nächstes geschieht, zulassen. Hinzu kommt: Ein Unglück schließt ein anderes nicht aus. Gute Sicherheitsplanung heißt also, alle Gefahrenquellen in Betracht zu ziehen und bei der Risikobeurteilung subjektive Eindrücke und Empfindungen auszuklammern. Man muss für das planen, was kommen kann – nicht nur das, was geschah!“
Der DEB weist darauf hin, dass professionelle Sicherheitsberatung eben nicht heißt, mit den jeweils jüngsten tragischen Ereignissen Angst zu verbreiten, sondern auf Grundlage aktueller Erkenntnisse und etablierter Methoden alle Eventualitäten zu sehen, zu bewerten und dann angemessene und angepasste Präventions- und Reaktionsmaßnahmen zu schaffen. Dabei seien neben der entsprechenden fachlichen Ausbildung auch viel Erfahrung und interdisziplinäres Wissen unverzichtbar.