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Deutscher Expertenrat Besuchersicherheit (DEB) lobt neuen Orientierungsrahmen für Veranstaltungen, deckt aber auch Schwachstellen auf
„Bundesweit fehlt bis heute ein verbindlicher und umfassender Rechtsrahmen zur Organisation und Durchführung von Veranstaltungen im Freien und damit fehlt eine Legaldefinition der Regeln für solche Veranstaltungen“, spricht Holger Gerdes den Missstand für Organisatoren von Veranstaltungen deutlich an. Gleichwohl positiv beurteilt der 2. Vorsitzender des Deutschen Expertenrates Besuchersicherheit (DEB) und Fachbereichsleiter der Fortbildungsakademie Mont Cenis des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen den nun überarbeiteten Orientierungsrahmen für die Genehmigungen von Großveranstaltungen im Freien: „Der neue Orientierungsrahmen bietet viele wertvolle Hinweise für eine sichere Veranstaltung und zeigt Wege für ein gutes und erfolgreiches Miteinander von Verwaltung und Veranstalter auf.“
Das Land Nordrhein-Westfalen hatte 2012 aufgrund der Ereignisse bei der Loveparade in Duisburg einen Orientierungsrahmen für die Genehmigungen von Veranstaltungen im Freien veröffentlicht. Dieser Orientierungsrahmen beinhaltete vor allem im organisatorischen Bereich gute Anregungen für die Kommunen, hatte jedoch Mängel bei der Bewertung von Veranstaltungen und der praktischen Umsetzung. Besonders die Gleichsetzung von Besucherzahl mit dem Attribut „Gefährlichkeit“ eines Events wurde vielen Veranstaltungen nicht gerecht. „Die Verantwortlichen der jetzt vorliegenden Überarbeitung des Orientierungsrahmens haben das erkannt und deshalb verstärkt praktische Erfahrungen einfließen lassen“, lobt Holger Gerdes die Verfasser.
Bis 2014 unterlagen die meisten Veranstaltungen unter freiem Himmel den Vorgaben der Versammlungsstättenverordnung mit einem klar definierten Verfahrens- und Genehmigungsablauf. Das war nicht unproblematisch, weil die Muster-Versammlungsstättenverordnung (MVStättVO) eine Bauvorschrift ist, die zwar einen Genehmigungstatbestand kennt, den Fokus aber auf Veranstaltungen in baulichen Anlagen hat. Viele der Vorgaben lassen sich auf Open-Air-Veranstaltungen nicht oder kaum übertragen.
Die ARGE-Bau hatte diese Schwierigkeit erkannt und 2014 den § 1 Abs. 1 Nr. 2 der MVStättVO neu formuliert. Damit wurden Veranstaltungen unter freiem Himmel weitestgehend aus dem Regelungsgehalt der Verordnung herauslöst. Im Fokus der neuen Verordnung blieben damit vorrangig nur Freilichtbühnen und Multifunktions-Arenen. Verschiedene Bundesländer folgten dieser Änderung in teils unterschiedlicher Konsequenz.
„Bei den meisten Open-Air Veranstaltungen im Freien oder im öffentlichen Verkehrsraum mangelt es an der Kombination Szenenfläche plus feste Tribüne bzw. bauliche Anlage. Wenn aber die MVStättVO hier nicht mehr zwingend Anwendung findet, bleibt die Frage, was gilt stattdessen“, gibt Holger Gerdes zu bedenken.
Ein seit vielen Jahren immer wieder einmal diskutiertes bundeseinheitliches Veranstaltungsgesetz erscheint wegen der Länderkompetenzen in diesem Bereich unwahrscheinlich. Einzig Berlin hat im Koalitionsvertrag von 2021 den Erlass eines Veranstaltungssicherheitsgesetzes vorgesehen, das neben verlässlichen Sicherheitsanforderungen ein einfacheres und zuverlässiges Genehmigungsverfahren für Veranstaltende bieten soll.
Bleibt als Rechtsrahmen häufig – neben vielen verschiedenen gesetzlichen Regelungen zu Einzelaspekten einer Veranstaltung – das Ordnungsrecht mit seiner wenig spezifizierten Generalklausel, nach der die Ordnungsbehörden die notwendigen Maßnahmen treffen müssen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Auch in der neuen Version des Orientierungsrahmens geht das Innenministerium Nordrhein-Westfalen von einem Vorrang des Ordnungsrechts aus.
Verbindliche Vorgaben, was als Gefahr bei einer Open-Air-Veranstaltung zu werten ist und welche technischen und organisatorischen Bedingungen sich daraus ableiten, liefert das Ordnungsrecht – anders als die MVStättVO – nicht. Auch kennt das Ordnungs- und Polizeirecht keinen Genehmigungstatbestand, was Einfluss auf die Rechtssicherheit für einen Veranstalter haben kann.
Das Land Bayern hat vor diesem Hintergrund 2020 das Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung um den Artikel 19 ergänzt und hier den Behörden die Möglichkeit eingeräumt, Erlaubnisse für die Durchführung von Veranstaltungen auszusprechen.
Dieses Vakuum außerhalb Bayerns füllt auch der neue Orientierungsrahmen nicht aus. Eine Rechtsverbindlichkeit wird durch ihn nicht begründet, weil auch die 2. Version des Orientierungsrahmens nicht über den rechtlichen Status einer Empfehlung für Nordrhein-Westfalen hinausgekommen ist.
Es gibt aber zahlreiche positive Veränderungen durch den neuen Orientierungsrahmen:
- Der Begriff „Großveranstaltung“ wird jetzt nur noch als undefinierter Mengenbegriff genutzt und nicht mehr als Synonym für „Gefährlich“. Das hat zur Folge, dass eine Großveranstaltung nicht mehr automatisch als gefährlich definiert wird. Sie kann es sein, muss es aber nicht. Im Umkehrschluss gilt aber auch für kleinere Veranstaltungen, dass sie nicht automatisch als ungefährlich anzusehen sind. Das gilt auch, wenn sie bisher „unter dem Radar“ des Orientierungsrahmens blieben.
- Den Kommunen wird ein anerkannter Standard für eine ziel- und sachgerechte Organisation und das Verwaltungsverfahren an die Hand gegeben. Für Veranstalter enthält diese Empfehlung wichtige Serviceangebote, die die Planung einer Veranstaltung erleichtern helfen.
- Es werden in Abhängigkeit zu dem Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung zwei unterschiedliche, dem Ergebnis angemessene Verfahren beschrieben.
- Den Kommunen wird bei der Umsetzung der Freiraum gelassen, die für sie individuell beste Organisationsform zu finden und anzuwenden.
- Der Orientierungsrahmen soll der Kommune zugleich Hinweise für den Umgang mit unorganisierten veranstaltungsähnlichen Personenansammlungen ohne verantwortlichen Veranstalter geben. Versammlungen nach Art. 8 GG werden durch ihn jedoch nicht erfasst.
- Übernahme wichtiger Definitionen von verantwortlichen Personen und deren Pflichten aus der MVStättVO (Veranstalter / Veranstaltungsleiter).
- Verpflichtung zur Berücksichtigung von Wettereinflüssen.
- Klare Definition von Veranstaltungsflächen außerhalb klassischer Veranstaltungsbereiche (z. B. bei Umzügen und Laufveranstaltungen).
- Verantwortlichkeit auch für Verkehrswege im näheren Umfeld, die dem Einlass sowie der An- und Abreise dienen.
- Abkehr vom starren Berechnungsschema Personen/Quadratmeter und Hinwendung zu einer gesamtheitlichen Betrachtung der Personendichten mit Berücksichtigung der zu erwartenden Bewegungsmuster.
- Weitere Konkretisierungen von wichtigen Bestandteilen eines Sicherheitskonzeptes, wie die Berücksichtigung von Parallelveranstaltungen, brandschutztechnischen Belangen, der öffentlichen Bedeutung der Veranstaltung oder auch des zu erwartenden Publikumsverhaltens.
„Es ist deutlich zu erkennen, dass alle Beteiligten versucht haben, Augenmaß zu halten und Veranstaltungen nicht durch zu große Hürden oder eine ausufernde Bürokratie zu verhindern. Deshalb überwiegt der positive Eindruck bei der Bewertung des neuen Orientierungsrahmens, auch wenn er nicht alle Lücken schließt. Die Empfehlungen definieren zwar verschiedene Parameter, die für die sichere Durchführung einer Veranstaltung elementar sind, bieten aber keinen technischen Standard hierfür“, weist Holger Gerdes darauf hin, dass so weiterhin nur die analoge Anwendung anderer
Rechtsvorschriften oder die Nutzung anerkannter technischer Regeln, wie die Veranstaltungssicherheits-Richtlinie (VaSi-Ri) des DEB bleibt, die auf der DEB-Seite im Internet – www.expertenrat-besuchersicherheit.de – zu finden ist.
Der DEB wirkt in verschiedensten Bereichen mit, Lösungen für die Besuchersicherheit zu erarbeiten. „Im Sinne der Sicherheit aller Menschen ist es wichtig, einen möglichst ganzheitlichen Weg zu finden, um Schadensereignisse zu vermeiden oder soweit wie möglich bei einem unvermeidbaren Ereignis das Schadensausmaß so gering wie möglich zu halten. Möglichst klare Vorgaben zu Organisationsstrukturen, sicherheitsrelevanten Funktionen, deren Ausbildung und Befugnisse spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Betrachtung aller relevanten Themenbereiche wie zum Beispiel
Evakuierung, Brandschutz, Arbeitssicherheit, öffentliche Sicherheit, Besuchersicherheit etc. ist dabei entscheidend. Der neue Orientierungsrahmen und die Veranstaltungssicherheitsrichtlinie des DEB sind dabei weitere gute Schritte. Noch gibt es hier offene Punkte bei Funktionen wie Veranstaltungsleitung, Stabsleitung, Ordnungsdienstleitung, usw.“, erklärt Olaf Jastrob, Vorsitzender des DEB.